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Archive for April, 2011

3/4 rum, aber voll im Saft!

25 Apr

Ein regnerisches Hallo aus Ohio!

Ich habe mich die letzten Tage wirklich schlecht gefühlt, weil ich schon so lange nicht mehr geschrieben habe. Aber dann habe ich gesehen, dass das noch nicht einmal einen Monat her ist! In der Zwischenzeit ist nicht wirklich viel aufregendes passiert, verglichen mit dem ganzen Reisen und der Allgemeinen “Neuheit” des Lebens hier. Was ich in den letzten Wochen noch so erlebt habe, werde ich nochmal kurz zusammenfassen, im mittlerweile 60. Beitrag!

Ja, wie kommt es eigentlich, dass -zugegebenermaßen- der Kontakt in die Heimat abgenommen hat? Ich habe am Wochenende eine Email von meinem Freund aus Chicago bekommen, der alle Paar Wochen mal nach Hause schreibt und ein wenig allgemein resümiert. Er hat in dem Beitrag erwähnt, dass schlichtweg der Alltag eingetreten ist und man sich nicht mehr so fühlt, als ob man in den Grenzen eines Programms steckt. Das ist tatsächlich auch bei mir der Fall: Man kennt sich mittlerweile natürlich gut in der Gegend aus, hat ein sehr starkes soziales Netzwerk aufgebaut, spricht die Sprache ausgesprochen (Wortspiel!) flüssig und steht arbeitstechnisch auch voll im Saft (siehe Überschrift!).

Dass die Leute um einen herum Englisch (oder Spanisch) sprechen, Straßenschilder und Produktbeschreibungen auf Englisch sind und man kulturelle Unterschiede absorbiert hat, lässt dieses Gefühl ein Gast zu sein, verwässern. Das ist einerseits gut, weil man sich sonst abgesondert hätte und sich das Bekannte in der Heimat zurückgewünscht hätte (und das endet meistens in deprimierendem Heimweh).

Andererseits baut sich seit einigen Wochen -da das Ende näher rückt- auch die Angst auf, wie denn die “Resozialisierung” in Deutschland verlaufen wird. Grundsätzlich freue ich mich sehr auf meine Freundin, Familie und Freunde und kann den Tag der Wiederkehr manchmal nicht mehr abwarten (ich bin froh, dass das nicht mit Heimweh einhergeht). Aber ich muss auch gestehen, dass ich dieses Jahr wohl nicht einfach wie ein Buch beenden und ins Regal stellen können werde. Ich bin mir aber auch der Tatsache bewusst, dass ein solches Austauschjahr immer ein Ausnahmezustand ist, quasi wie der Hormoncocktail beim Verliebtsein. Daher denke ich auch garnicht über negative Dinge nach, die ich weniger vermissen werde, als über die Vorteile, die ich hier genieße.

Nach längerem Überlegen überwiegen da aber eher die kurzweiligen Tatsachen, z.B. die guten Freundschaften , die man aufgebaut hat (viele meine Freunde müssen leider auch wieder zurück in ihre Länder), die tollen Sehenswürdigkeiten und die unfassbare Naturvielfalt (im wahrsten Sinne un-fass-bar), das gute Essen, und die freundlichen Menschen. Bohre ich etwas tiefer fällt mir die allgemeine Freiheit der Bürger ein.

Jetzt ist das natürlich nicht so, dass wir in Europa an Ketten zum Arbeitsplatz gebracht werden oder gar eine Merkeldiktatur herrscht. Es sind so Kleinigkeiten, auf die ich eigentlich ungerne wieder verzichten will. Zum Beispiel ist mir nach einigen Monaten schon aufgefallen, wie egal den Menschen das Privatleben der anderen ist, und ich rede nicht von Nachbarschaften. Im Schlafanzug zum College? Klar, “it’s a free country” kriegt man dann zu hören. Den größten Burger auf der Karte bestellen? Gier? Nee, “Respekt!!” Der Nachbar fährt 2 $100,000 Mercedes-Benz? Und? -die Menschen kennen hier keinen Neid -er wird wohl hart für gearbeitet haben und hat sich eben seinen Traum erfüllt. In Deutschland hingegen kriegt man gerne ein “Angeber” hinterhergeschrien. Aber dasss diese Autos maßgeblich zum Wohlstand eines ganzen Rattenschwanzes von Arbeitnehmern beitragen, gar das Rückgrat einer Industrienation sein kann, sehen in Deutschland die Wenigsten. Amerikaner werden sowieso gerne von der Regierung zufrieden gelassen und versuchen irgendwie ihren American Dream zu leben.

Ich möchte mal auf die Beispiele Steuern und Liberalismus eingehen. Das sind nämlich unter Anderem auch die Wörter, bei dem jeder Amerikaner zusammenschreckt. Besteuerung wird schon aufgrund historischer Tatsachen (“No taxation w/out representation”) als absolute Drangsalierung und Enteignung wahrgenommen, sie wird als Umverteilung von den Reichen zu den Armen verstanden. Und da hier nun mal jeder seins Glückes Schmied ist, ist das ein Eingriff in das kulturelle Naturgesetz. Kein Wunder, dass viele Mittelständler und Reiche(ere) hier auf die Barrikaden gegangen sind, als Obama die Gesundheitsreform eingeführt hat.

Den Wohlfahrtsstaat gibt es im europäischen Sinne also nicht, doch wie wird die Gesellschaft, die nun mal zwangsläufig aus Reich und Arm besteht, am Leben gehalten? Erinnert ihr euch noch, dass ich vom Community Service, also der Freiweilligenarbeit gesprochen habe? Das ist ein Weg. Amerikaner leisten schon in jungen Jahren sehr viel Hilfsarbeit in Suppenküchen oder sammeln Geld an Türen für Obdachlosenheime. Gebäude an Universitäten oder Bibliotheken werden nicht selten von Wohlhabenden gebaut. Alleine am County College hier stehen 3 Gebäude die den Namen der Spender tragen z.B. das Spitzer-Center, ein Convention- und Eventcenter. Ich glaube in Deutschland wird das Ehrenamt oft mit Vereinstätigkeiten verbunden.

Und dann wäre da noch der Liberalismus. Jetzt denkt man als Deutscher vielleicht erst an die Liberalen, die FDP, und sagt sich: Moment, die sind doch eigentlich pro-Unternehmen und pro-Kapitalismus. In den USA ist das anders, hier ist ein Liberaler jemand, der kein Problem mit staatlicher Regulierung z.B. im Bankenwesen hat, d.h. staatliche Eingriffe in die Wirtschaft befürwortet. Das ist im Urland des Kapitalismus natürlich ein absolut unerträglicher Gedanke!

Da wäre noch noch die positive Lebenseinstellung und Freundlichkeit der allermeisten Amerikaner. Jedes Mal wenn man auf einen Bekannten trifft, wird ein nettes “How are you?”, “How is it going?” or “What’s up?” ausgesprochen und “I like your shoes” oder “You look handsome today!” sind dann meistens auch nicht weit. Oben drauf kommt ein breites Lächeln, als ob man 50 mal am Tag von der Sonne geküsst wird. Geht man in ein Elektronikfachmarkt oder einen Kleidungsladen, wird man grundsätzlich von einer extra dafür abgestellten Person persönlich begrüßt und der nächste Verkäufer wartet schon darauf, einem weiterzuhelfen -sei es auch nur einem eine Wegbeschreibung zur Toilette zu geben. Im Vergleich zu Deutschland sind Verkäufer weitaus proaktiver, was ich oft als Aufdringlichkeit empfinde. Tut man die angebotene Hilfe aber mit einem netten “I’m just taking a look around” ab, wird man zumindest von dem einen Verkäufer in Ruhe gelassen. Ich muss leider eingestehen, dass der Kunde in Deutschland oftmals eher Knecht als König und Service oftmals Mangelware ist (in Fastfoodketten muss man hier für ein Lächeln aber auch draufzahlen, habe ich festgestellt). Stichwort “Resozialisierung”: Ich glaube die erste Serviceperson auf die ich in Deutschland treffen werde wird es nicht leicht mit mir haben -sofern sie unfreundlich ist.

Komischerweise empfinden uns die Amerikaner aber trotzdem als sehr nettes Völkchen, und wissen auch um unser Ordnungsempfinden und industriellen Ehrgeiz! Aber vielleicht sagen sie es auch nur so? Das ist die Kehrseite der ganzen Freundlichkeit: Der Amerikaner wird einem nur selten die nackte Wahrheit sagen. Dies zu verstehen ist eine wesentliche Fähigkeit, die sich ein Ausländer schnellstens Aneignen sollte, um nicht in Fettnäpfchen zu treten. Ich kann garnicht sagen, wie oft ich flüchtig “zum Dinner” oder eine “Diashow mit Bildern aus Frankreich” eingeladen wurde -tatsächlich sind solche Einladungen immer schnell zur Hand, aber zustande kommt da meistens nichts. Ich würde gerne mal das Gesicht der Leute sehen, wenn ich doch plötzlich vor der Tür stehe, hehe. Was das andere Geschlecht angeht, höre ich oft “I love you, Simon”, “you’re cute” oder “I’m gonna miss you, would you take me to Germany?”. Auch hier sind es wohl Geräuschfrequenzen bei der Aussprache der Sätze, die zwischen der vom Herzen kommenden “Wahrheit” oder eben dem netten, freundschaftlichen “ich meine damit eigentlich, dass wir gute Freunde sind und du ganz nett bist” entscheiden. Man darf eben nicht alles wörtlich nehmen.

Aber auch sonst ist grundsätzlich alles “alright” und “no problem”, man hat oft das Gefühl, dass man nicht wirklich weiß, woran man ist. Diesen Code zu entschlüsseln schaffen glaube ich nur die wenigsten Ausländer in kurzer Zeit. Oft höre ich bei der Arbeit auch ein “I love that design” oder “Simon, you are so smart and creative!”, dabei hat man evtl. nur eben schnell eine Einladung zum firmeninternen Lunch per Email verschickt. Während in Deutschland mangelnde negative Kritik als Lob empfunden wird, werden hier Lobe fast zelebriert. Man sollte dann das belobte wirklich mal neutral betrachten und sich fragen, wie hoch der Wahrheitsgehalt des Lobes nun wirklich ist -d.h. war es nur Freundlichkeit oder konstruktive Kritik?

Joa und das war’s auch erstmal wieder von mir! Ich habe noch von Baseball und Paintball zu berichten, aber das in den nächsten Tagen ;).

Lieben Gruß an alle!!!

 
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